Comenser Szenen

„Jener Arm des Comer Sees, der sich zwischen zwei ununterbrochenen Bergketten südwärts wendet und, ihrem Vorspringen und Zurückweichen folgend, lauter Busen und Buchten bildet, verengt sich fast plötzlich und nimmt zwischen einem Vorgebirge zur Rechten und einem ausgedehnten Gestade zur Linken Lauf und Gestalt eines Flusses an.“

So bildhaft und eindrücklich wie hier Alessandro Manzoni beschrieb kaum ein zweiter Romancier die malerische, dahingleitende Seelandschaft zur Provinz Lecco hin, in der die Handlung der ‚Promessi Sposi’ angesiedelt ist. Das Vor und Zurück der steilen Hänge, die sich an wolkenlosen Tagen in das gleißende Blau des Comer Sees spiegelnd stürzen: dies faszinierte seit jeher Künstler und Reisende. Als einen der berühmtesten Urlauber am Comer See ist wohl neben George Clooney Konrad Adenauer zu nennen, dessen Name gerade im 60. Geburtsjahr der BRD wieder so präsent ist. Seine achtzehn Aufenthalte in Cadenabbia in den Jahren 1957 bis 66 haben den Deutschen im wirtschaftlichen Aufschwung die norditalienischen Seen als Urlaubsziel entdeckt. Seine Villa La Collina thront, wie ihr Name schon andeutet, auf einem Hügel am nordwestlichen Ufer des Centrolago, genau dort, wo sich die Landzunge von Bellagio tief in den See hineinschiebt, um ihn in seine zwei flussähnlichen Arme zu teilen. Wenn der Altkanzler nicht gerade dabei war, eine Partie Boccia zu gewinnen, empfing er dort Gäste wie Willy Brandt, Ludwig Erhard oder Golo Mann. Seit Ende der 70er Jahre fungiert die Villa La Collina als internationales Tagungs- und Begegnungszentrum der Konrad-Adenauer-Stiftung, das jedoch auch Individualtouristen zur Bleibe offen steht. Der geschwungene, schattige Pool ist zwar ein Neuzugang aus Post-Adenauer-Zeiten, doch seine Frische bringt mir die willkommene Abwechslung in der historisch heißen Atmosphäre.

See-Stationen
Bis heute ist der Comer See – oder Lario wie ihn die Einheimischen nennen – ein historischer, bedeutender Ort für bedeutende Menschen oder solche, die sich dafür halten, genauso wie für Kultur, Kunst und gehobenen Tourismus. Die ufernahen Villen, wie Villa Olmo in Como, Villa Carlotta in Tremezzo oder Villa Vigoni in Loveno di Menaggio, mit ihren weitläufigen gepflegten Gärten glänzen zwischen den unverputzten Häusern aus Bruchstein der umliegenden charmanten Dörfer hervor. Sie sind meist Zeugen einer langen Familienhistorie und gaben und geben vor allem Raum für Kunstproduktion und Gartenkultur. So schrieb Verdi seine ‚Traviata’ in der Villa Margherita seines Verlegers, der Park der Villa Carlotta gilt als einer der artenreichsten botanischen Anlagen am See und in der Villa Vigoni schuf sich der Frankfurter Kaufmann Heinrich Mylius einen kunstvollen Erinnerungsgarten mit Werken von Thorvaldsen für seinen einzigen, früh verstorbenen, Sohn. Doch auch erfreulichere Familiengeschichte ist in dem kleinen Ortsteil Loveno hautnah erfahrbar: Nicht weit gelegen findet sich eine der schönsten familiengeführten Pizzerien mit dem geheimnisvollen Namen CO.RI.

See-Sagen
Um den Lario ranken sich außer Kastanien und viel andere Laubbewaldung auch Geschichten um ein Seemonster, den Lariosaurus, der sich jedoch wie Nessie nur selten zeigen will. Die einzige Insel des Sees, Isola Comacina, soll vom Bischof von Como im 12. Jahrhundert verflucht worden sein, heute floriert jedoch die dort ansässige Locanda mit ihrem traditionellen, regionalen Speisenangebot. Im Ort Laglio an der Westküste erzählen sich die Leute von einem schwarzbehelmten Motorradfahrer, der den See entlang braust und den Haltern liegen gebliebener Fahrzeuge zur Hand geht. Nur manchmal lüftet er sein Visier und gibt sich mit einem charmanten Hollywoodlächeln als George, Gentleman alter Schule, zu erkennen.

Seen-Sehen
Auch für Wanderfreunde gibt es am See viel zu entdecken. Von dem Dörfchen Breglia aus auf der Westseite ist es eine zweistündige Tour bis zum Rifugio di Menaggio, wo sich müde Wanderer mit dampfender Polenta stärken können oder, wenn es doch etwas später geworden ist, auch eine Dusche und ein warmes Bett vorfinden. Wer wie wir noch nicht genug bekommen hat, erklimmt in einer weiteren Stunde den Monte Grona (1776m) und lässt seinen Blick über die weite, ‚gedreite‘ Seelandschaft gleiten: Zur Linken breitet sich der Comer, zur Rechten der Luganer See aus, dazwischen ruht der unscheinbare, kleine Lago Piano in seinem eigenen, idyllischen Naturschutzgebiet. Beim Gipfelkreuz unter einem Felsen findet man übrigens eine grüne Butterbrotdose mit einem Logbuch. Wer wissen will, welche Eindrücke wir noch mitnahmen, liest nach bei den Eintragungen zum 13. Juli …

Claudia Ziegler, 25, Nürnberg,
von Juli bis August wissenschaftliche Hilfskraft an der Villa Vigoni, Menaggio.