Genuesische Elegien

Genova – la Superba, wie sie die Italiener durch die Jahrhunderte hinweg nannten und es auch heute noch tun: Die Stolze. Dieser Zusatz kam jedoch bei meiner Ankunft in der Stadt, nach einer ungemütlichen Fahrt vom Flughafen Cristofero Colombo durch die Peripherie der verfallenen Wohnviertel, vorbei an schmutzigen Gassen, auf holprigen Straßen und durch lärmenden Verkehr, einer höhnischen Demütigung gleich. Es dauerte, bis ich verstand.
Ja stolz, wie sie sich entlang der Bucht in das Hinterland des mächtigen Gebirgszugs des Apennins auftürmt. Steil ragt sie vom Hafen aus in die Höhe und bleibt dabei doch so anschmiegsam, um den raren bebaubaren Platz bis aufs Letzte für sich einzunehmen.
Stolz wie sie sich das Meer unterwürfig macht: Genuas Porto Antico war von jeher das bedeutendste wirtschaftliche Zentrum der Provinz und ist bis heute unter den wichtigsten Handelshäfen des gesamten Mittelmeerraumes.  Er bedient nicht nur die großen norditalienischen Industriegebiete Turin und Mailand, seine Zuständigkeit reicht bis in die Schweiz.
Und stolz, das sind auch die Genuesen. Nichts lassen sie auf ihre Superba kommen, auch wenn der ehemalige Stadtstaat seit dem 16. Jahrhundert und den Entdeckungen des Sohns der Stadt Christoph Kolumbus viel von seinem Glanz unter Admiral Andrea Doria verloren hat. Handel, Architektur und Kunst florierten im der von französischer Vorherrschaft befreiten Seerepublik. Genuas damalige Blüte ist die Kraftquelle ihres mythisch gewordenen Hochmuts mit dem sie ber ihre heutige Unvollkommenheit hinweg sieht.

Die Blühende und Verblühte

Im Rahmen der Weltausstellung 1992 wurde jedoch das Gesicht des Touristenmagneten, der Yachthafen Porto Antico, wieder aufpoliert, um Genua etwas von ihrem einstigen Glanz zurückzugeben. Der europische Kulturhauptstadttitel 2004 ließ die heutigen städtischen Kunstmuseen Palazzo Rosso und Bianco mit sanierten Fassaden und Innenhöfen und die historischen Strade Nuove Via Garibaldi, Via Balbi und Via Cairoli grunderneuert zurück.
Heute füllen kleine Boutiquen, Bars, Märkte und Läden genauso wie die südamerikanischen und nordafrikanischen Einwanderer die unüberschaubare Altstadt mit neuem Leben. Das Centro Storico Genuas gilt als das weitläufigste und verwirrendste Gassensystem Europas. In den caruggi, wie die Genuesen die kleinen Gässchen nennen, entdeckt man immer wieder Neues, Stimmungsvolles, Bedenkliches: die bunte Heiterkeit eines Gemüsemarkts, eine versteckte Piazzetta mit einer charmanten Enoteca, eine dunkle, nach Urin riechende Gasse in bedrohlicher Stille – man stößt auf so einiges in den vielen Ecken und Sackgassen des Labyrinths. Genau das macht die Faszination Genuas aus, sie gibt ihre Geheimnisse nur den Neugierigen und Geduldigen preis.
Man entdeckt an mancher Stelle eine Stadt, die still strömt und in sich tobt:  Einerseits werden Touristen vor dem Stadtteil Prè nach Einbruch der Dunkelheit gewarnt, denn der Hafen wird wie in jeder Stadt zwiespältig gesehen – als Zeichen der Weitläufigkeit und Verbindung nach außen, aber auch als Möglichkeit der Einfuhr und negativen Einflussnahme von dort. Andererseits lockt die Nachtszene nicht nur durch kommerzielle Clubs, sondern vor allem durch das Treiben der sich selbst vergnügenden, frei auf der Piazza musizierenden jungen Leute.
Orientierung in der unerfassbaren Altstadtstruktur verschaffen einige markante Punkte, darunter die Piazza de Ferrari mit seiner unermüdlich quellenden Fontana, Palazzo Ducale, dem einstigen Sitz des Dogen, die gotische San Lorenzo mit der schwarz-weißen Marmorfassade und natürlich der Hafen; fernab davon an der Küste schließlich die Lanterna, dem Wahrzeichen der Stadt. Der Leuchtturm ist einen Besuch wert, ein Spazierweg führt Fußgänger direkt hinauf zu einer eindrucksvollen Aussicht über Stadt und Meer. Allerdings kann es nach der offiziellen Schließzeit um sieben Uhr passieren, dass der Rückweg direkt durch den Industriehafen, vorbei an Kohleförderbändern und armstarken Hafenarbeitern, zurückgelegt werden muss; eben dann nämlich, wenn der Leuchtturm-Pförtner auf seinen wohlverdienten Feierabend drängt und das Tor zum Fußgängerpfad verschließt.
Die besondere Stadtstruktur auf verschiedenen Höhenebenen, machte eine besondere Lösung für ein gutes Verkehrsnetz notwendig: So steigt man hier nicht selten mit seiner normalen Fahrkarte statt in den Bus in einen Ascensore, einen öffentlichen Aufzug, und lässt sich ein paar Höhenlinien weiter nach oben befördern. Auch gibt es eine Seilbahn, die nahe der Via Balbi direkt zu dem Stadtteil Righi hinauffhrt, genau dorthin, wo neben einem wunderschönen Stadtausblick übrigens auch die Jugendherberge zu finden ist.
Genua, allein ihr Name macht in aller Stille viel von sich reden: Heute trägt sie fast jeder an seinen Beinen und doch wissen die meisten nicht, dass der Stoff der Jeans seine Bezeichnung von der ligurischen Hauptstadt bekam. Das Basilikumpesto alla Genovese ist da schon wörtlicher in aller Munde. Genova, von Ginocchio, dem Knie des italienischen Stiefels, ist in gewisser Weise auch ein Verbindungsglied. Es ist das Gelenk, das die westliche und östliche Küstenseiten Ponente und Levante miteinander verbindet. Zur linken bis zum französichen Nizza, zur rechten über das verträumte Nervi, Portofino und die Cinque Terre, bis nach La Spezia erstreckt sich die Küste Liguriens. Die felsige Steilküste und die guten Pasticcerien Nervis sollte man sich nicht entgehen lassen, liegt der kleine Ort doch nur eine hübsche, kurze Küstenbusfahrt von Genua entfernt. Der Küstenort Portofino ist inzwischen neben dem Domizil des Massentourimus auch zum Sommersitz der Berlusconis dieser Welt geworden. Weiter östlich dokumentiert die vor allem deutsche Beschilderung des UNESCO-Weltkulturerbe-Nationalparks der Cinque Terre die Reiselust deutschsprachiger Wanderer, die sich bis heute noch oft auf den Weg von Manarola nach Riomaggiore auf der Via dell’Amore machen. Trotz des Andrangs ist den fünf Fischerdörfern ihr ländlicher, maroder Charme kaum abhanden gekommen und noch immer die Reise wert.
Und ich hoffe, dass die da sempre-Kundinnen und Kunden nun Lust dazu bekommen haben.

Claudia Ziegler, 24, Erasmus-Studentin in Genua